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Kategorie: Projekt

Rechner für Menschen aus der Ukraine: Wiederaufarbeitung von Altgeräten

In der Agenda Zeitung Frühjahr/Sommer 2023 hat augsburg.one einen Beitrag über das Upcycling alter Laptops und Desktops mittels schneller SSDs und Linux als Betriebssystem. Insbesondere die Oldtimer von Apple fühlen sich danach wieder jung und frisch an. Anbei die ungekürzte Fassung dieses Artikels mit allen Bildern.

Zusammenfassung:

Bei Augsburg.One beschäftigen wir uns mit vielfältigen Aspekten der postmodernen Gesellschaft und ihrer digitalen Altlasten. Von Dezember 2021 bis März 2023 haben wir mehrfach alte Rechner eingesammelt, neu hergerichtet und an Menschen aus der Ukraine weitergegeben – in Zusammenarbeit mit der Bürgerstiftung Augsburg und dem SKM Augsburg. Dabei wurden gleich mehrere Probleme auf einmal bearbeitet: (1) Halden alter Hardware in Schulen und Unternehmen wurden abgebaut, ohne Zusatzkosten für die Entsorgung. (2) Wir lernten etwas über zweckmäßige Erneuerung von Hard- und Software. (3) Menschen aus der Ukraine konnten besser den virtuellen Kontakt zu ihrer alten Heimat halten (z.B. für Schule, Ausbildung, Hobby).

Wer bei ähnlichen oder auch ganz anderen Explorationen jenseits der globalen IT-Maschine mitmachen möchte, kann über die Website https://augsburg.one und per E-Mail info@nullaugsburg.one Kontakt aufnehmen. „Social Media“ brauchen wird nicht: Stattdessen treffen wir uns real in einem schönen Café oder Biergarten – meistens am 2. Dienstag des Monats um 19 Uhr.

Rechner auf Halde: Wie vermeidet man geplante Obsoleszenz?

Werbestrategen lassen sich immer neue Sprüche einfallen, um den Verbrauchern zu suggerieren, alles müsse stets nach der neuesten Mode gehen bzw. „modern“ sein. Ingenieure können dem noch etwas nachhelfen und Produkte so konstruieren, dass nach ein paar Jahren nichts mehr geht. Gerade bei digitalen Endgeräten mit der komplexen Kombination aus Hardware und Software wird dies oft als unvermeidbare Realität akzeptiert: Neue Versionen des Betriebssystems lassen die alte Hardware schlecht aussehen, irgendwann gibt es dann keine Updates mehr und man muss aus Gründen der Software-Sicherheit das Gerät entsorgen. Aber muss das wirklich so sein?

Dieses Phänomen ist unter der Bezeichnung geplante Obsoleszenz in den Wirtschaftswissenschaften durchaus bekannt. Dahinter stehen gewisse Zwänge des globalen Geld- und Wirtschaftssystems, wie sie etwa in den Büchern und Vorträgen von Prof. Christian Kreiß erläutert werden (siehe z.B. „Das Mephisto-Prinzip unserer Wirtschaft“, tredition Verlag, 2019). Dieser Planet benötigt dringend ein neues Betriebssystem, aber an so ein ambitioniertes Projekt tasten wir uns besser in bescheidenem Umfang heran und sammeln praktische Erfahrung vor Ort in Augsburg. Konkret geht es uns um die Wiederaufarbeitung alter Computer-Hardware – klassische Laptops und Desktops, keine Tablets oder Smartphones.

Legen wir einmal die Konditionierung als marktgerechte Konsumenten beiseite und fragen uns unvoreingenommen: Warum kann ich einen Computer nach 5 Jahren, 10 Jahren oder gar 15 Jahren nicht mehr verwenden? Man denke etwa an die klassischen Aluminium iMacs von 2007 oder einstmals teure Business Laptops wie Dell Latitude oder Lenovo Thinkpad von 2014. Die Antwort hängt auch von dem Zielpublikum ab: Hier sind dies Menschen aus der Ukraine, welche im teuren Deutschland mit wenigen Mitteln auskommen müssen. Auch vor dem Krieg waren sie es gewohnt, mit weniger „Konsumgütern“ selber zurecht zu kommen und gemeinsam etwas zu improvisieren.

Das sind gute Startbedingungen für ein Upcycling Projekt mit minimalem Budget. Dazu haben wir nicht mehr benutze Rechner kostenfrei eingesammelt und weniger als 40 EUR pro Stück investiert für die Wiederaufarbeitung: SSD Massenspeicher, manchmal RAM Module, selten ein neues Netzteil. Zum Vergleich: Ein neuer Linux-Laptop mit guter Ausstattung kostet 400,– EUR; ein aktuelles Topmodell von Apple in der Reihe MacBook Pro kostet 4000,– EUR.

Die genannten Materialkosten trugen Spender, insbesondere die Bürgerstiftung Augsburg. Unsere Arbeitskosten wurden nirgends verbucht: Wir sehen das als eine Mischung aus persönlicher Weiterbildung und beschaulicher Entspannung beim Hardware- und Software-Basteln. Gerade bei den Designergeräten von Apple kann man etliche Stunden mit dem Studium von Bastelanleitungen im Internet zubringen: Hier gibt es fast schon eine Subkultur von Kennern alter Kultgeräte.

Als Betriebssystem haben wir für alle Rechnertypen Ubuntu Linux 22.04 verwendet: Dafür entstehen keine Lizenzkosten und wichtige Standardprogramme aus dem Open-Source-Bereich sind bereits enthalten (Firefox, Chromium, Libre Office, GIMP Bildbearbeitung u.v.m.). Gerade für Apple Rechner war Linux entscheidend, denn das reguläre macOS verweigert schon nach wenigen Jahren den Betrieb auf alter Hardware. Bei alten Windows-Systemen wäre statt Linux oft auch Windows 10 möglich gewesen, aber wir sahen keinen Grund für dessen Mehrkosten und die Mehrarbeit bei die Installation der gängigen Open-Source-Anwendungen.

Projekt 1: Ukrainische Familien mit Schulkindern (Winter 2021/2022 und Sommer 2022)

Startpunkt war kurz vor Weihnachten 2021 die Idee von Tom Hecht, ca. 15 eingelagerte Laptops einer ihm bekannten Schule so herzurichten, dass sie an ukrainische Neuankömmlinge verteilt werden können. Zur Wahrung des Datenschutzes gab es die Absprache, alle Festplatten auszubauen und in der Schule zu belassen. Auch rein technisch macht es keinen Sinn mehr, rotierende Magnetscheiben für die persistente Datenhaltung zu verwenden: Anstelle der alten HDs sind seit ca. 10 Jahren schnelle SSDs verfügbar und heute sehr kostengünstig zu bekommen (ab ca. 20 EUR). Nach dem Umbau von HD auf SSD läuft der Rechner viel schneller: Im alltäglichen Gebrauch überwiegt der ständige Zugriff auf das Dateisystem, der Prozessor spielt kaum eine Rolle.

Über ukrainische Mitarbeiterinnen des SKM Augsburg kam der Kontakt zu geflüchteten Familien zustande, welche insbesondere für ihre Kinder eine technische Hilfe für virtuelle Verbindungen in die alte Heimat suchten. Als Notlösung wurden meist Smartphones verwendet mit sehr kleinem Bildschirm und schlechter Audioqualität. Dagegen ist ein regulärer Linux-Laptop mit Mikrofon, Kamera und großem Display ist eine deutliche Verbesserung. Ferner kann man damit auch Texte schreiben mit mehr als nur zwei Daumen auf der Tastatur.

Tom zeigt jungen Ukrainern neu hergerichte Linux-Laptops (Marke: Dell).

Die Unterstützung für ukrainische Sprache und Tastaturbelegung funktionierte bei Ubuntu Linux auf Anhieb gut genug, so dass sich die neuen Anwender wie zuhause fühlten. Allerdings muss man als Westeuropäer vor der Umstellung darauf achten, dass jemand im Raum beim Entziffern kyrillischer Dialogboxen des Betriebssystems aushelfen kann!

Projekt 2: Ukrainische Waisenkinder (Frühjahr 2023)

Mit der weiteren Eskalation militärischer Aktionen Anfang 2022, hatte es ein komplettes ukrainisches Waisenhaus mit dessen Leiterin nach Augsburg verschlagen. Es fanden sich schnell offizielle und ehrenamtliche Helfer, um den ca. 30 Kindern und Jugendlichen ein angemessenes Zuhause zu schaffen. Während sich Familien mit Kindern leicht untereinander helfen können, konzentriert sich bei einem Waisenhaus alles auf einige wenige Bezugspersonen. Aber auch hier helfen die ukrainischen Mitarbeiterinnen des SKM Augsburg tatkräftig mit.

Bereits im Herbst 2022 hatte es vom SKM eine vorsichtige Nachfrage gegeben, ob denn noch mehr Rechner zur Verfügung stünden. Also haben wir uns im persönlichen und beruflichen Umfeld umgehört und nach einigen Wochen kamen ca. 12 Rechner zusammen: 2 iMacs, 2 MacBooks Pro, weitere Windows Laptops aus dem Schulbetrieb. Diesmal haben Tom und Makarius die Umbauten gemeinsam unternommen; Makarius entwickelte dabei die Ambition, selbst 10–15 Jahre alte Hardware möglichst mit 8 GB RAM auszuliefern.

Einzelne Rechner gingen an Schulkinder wie in Projekt 1, aber ca. 10 Laptops und Desktops wurden schließlich an das Waisenhaus abgegeben: Transport durch Günter Schütz, standesgemäß mit dem Lastenfahrrad. Beim Aufbau der Geräte vor Ort stellte sich heraus, dass noch 5 weitere Windows Büro-Computer von einer Firma gestiftet worden waren und nur noch installiert werden mussten. Also stellten wir spontan deren Windows 10 Konfiguration fertig: Alle Antworten auf „Nein“ setzen bei Telemetrie- und Überwachungsfunktionen, „Nein“ zu persönlicher Anmeldung bei Microsoft, „Nein“ zu Office 365, „Nein“ zu künstlichen Ratschlägen eines Machine-Learning-Datensatzes namens „Cortana“; schließlich auch noch ein Adblocker für den Browser.

Makarius legt letzte Hand an zwei Windows 10 Rechner (rechts): Adblocker fehlt! Die beiden Linux iMacs (links) sind schon fertig; einer davon zeigt den Agenda-Film mit Pia Winterholler und Mehrweg-Kaffeebechern.
Augsburg.One am Werk: Tom, Makarius und Günter bei der Endmontage gestifteter Rechner im Waisenhaus.

Am Ende der Aktion blieb noch die Sorge, wie weit die durchschnittliche WLAN/DSL-Internetverbindung des Hauses reichen wird, wenn nun ca. 30 Kinder mit ca. 15 Rechnern im Netz sind. Weitere Bedenken, ob denn diese Quote 2 zu 1 nicht zu Unfrieden im Haus führt, haben sich aber als unbegründet erwiesen: Diese Kinder sind es durchaus gewohnt, gemeinsam mit beschränkten Mitteln auszukommen: Zuhause in der Ukraine war die Computerausstattung viel schlechter gewesen.

Bei späteren Nachfragen stellte sich heraus, dass es sich hier auch um ein Projekt der Selbstbefähigung handelt: Die Kinder helfen sich gegenseitig bei der Benutzung der Geräte, weitgehend ohne fremde Hilfe. Einige Kinder helfen auch der Betreuerin. Besonderer Beliebtheit erfreuten sich die beiden Aluminium iMacs von 2007 bzw. 2009, nun ganz frisch mit aktuellem Ubuntu Linux. Gutes Industrie-Design hält eben doch viel länger als es dem Hersteller lieb ist!

Aluminium iMac von 2009 mit Ubuntu Linux 22.04, hier noch auf dem heimischen Küchentisch.
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„Dynamicland“ von Bret Victor und Alan Kay

Schon seit Jahren zeichnet sich in der Informationstechnologie eine enorme gedankliche Verengung ab, deren extreme Form wir nun hautnah bei der plumpen „Digitalisierung“ aller Lebensbereiche zu spüren bekommen. Einige unkonventionelle Denker hatten aber bereits um 2012 begonnen, in ihren Vorträgen einige alte Probleme der Informatik mit frischem Geist zu betrachten: besonders bekannt sind hier Bret Victor und Alan Kay.

Diese beiden haben 2014 das Langzeitproject „Dynamicland“ gegründet, wobei es um menschengerechte Computer-Technologie im weitesten Sinne geht. Zitat von der Website:

A humane dynamic medium embraces the countless ways in which human beings use their minds and bodies, instead of cramming people into a tiny box of pixels.
One guest, after spending time at Dynamicland, held up his smartphone and shouted, “This thing is a prison!”

Ein menschengerechtes dynamisches Medium berücksichtigt die zahllosen Möglichkeiten, wie Menschen ihren Geist und ihren Körper nutzen, anstatt die Leute in eine winzige Kiste mit Pixeln zu packen.
Ein Gast hielt nach einem Aufenthalt im Dynamicland sein Smartphone hoch und rief: „Das Teil hier ist ein Gefängnis!“

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